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Grundsätze für ein neues Volksgruppenrecht

Die bisherigen Bemühungen zur Änderung des aus 1976 stammenden Volksgruppengesetzes sind weitestgehend von speziellen Anliegen einzelner Volksgruppen dominiert worden. Tatsächlich stehen jedoch generelle, grundsätzliche Menschenrechtsfragen der Volksgruppen an, welche in den letzten Jahrzehnten virulent geworden sind und dringend einer rechtsstaatlichen Lösung bedürfen. Insbesondere geht es um die Rechtsstellung der Volksgruppen als solcher, deren Vertretung gegenüber dem Staat, die kontinuierliche finanzielle Unterstützung durch diesen und den Übergang vom Migrations- zum Volksgruppenstatus. Ohne die entsprechenden gesetzlichen Klarstellungen, die ansonsten vor internationalen Instanzen erkämpft werden müssen, fehlt Novellenentwürfen wie dem derzeit vom Bundeskanzleramt vorgelegten, das Fundament.

Eine Reihe von Volksgruppenorganisationen, Menschenrechtsgruppen und engagierten Einzelpersonen hat sich daher, auf Initiative der Wiener Arbeitsgemeinschaft für Volksgruppenfragen, auf folgende 5 Grundsätze eines modernen Volksgruppenrechts verständigt, das internationalen Standards entspricht. Die nähere Ausgestaltung dieser Grundsätze, als gesamtgesellschaftliches Anliegen möglichst unbeeinflusst von Parteipolitik, wäre erste Voraussetzung für eine Novellierung des Volksgruppengesetzes:

1. Jede anerkannte Volksgruppe (im Sinne des geltenden Gesetzes) hat die Stellung einer Körperschaft öffentlichen Rechts und ist die legitime Vertreterin ihrer spezifischen – insbesondere sprachlichen und kulturellen – Interessen.

2. Die Zusammensetzung und Willensbildung der Körperschaft wird von der Bundesgesetzgebung nur insoweit geregelt, als zum einen die vom Staat anerkannten Vereine, die sich überwiegend für die Interessen dieser Volksgruppe einsetzen ("Volksgruppenorganisationen"), die Mehrheit in dieser Körperschaft bilden. Zum anderen werden in der Körperschaft die Interessen derjenigen Volksgruppenangehörigen, die sich durch die Volksgruppenorganisationen nicht vertreten erachten, durch eine angemessene Zahl von Vertretern derjenigen Religionen und politischen Parteien gewahrt, die mit dieser Volksgruppe besonders verbunden sind.

3. Jede Körperschaft hat einen gesetzlichen und wertgesicherten Anspruch auf eine jährliche Geldleistung seitens des Bundes, die für den laufenden strukturellen Aufwand der Volksgruppenorganisationen und der Körperschaft ausreichend ist. ln gleicher Weise sichern der Bund und die betreffenden Länder Geldleistungen für volksgruppenspezifische Vorhaben zu; hiezu sind fristgerecht, bei sonstigem Verfall, von den Bezugsberechtigten Verteilungspläne vorzulegen, wobei auch diejenigen Vorhaben, die nicht von Volksgruppenorganisationen getragen werden, angemessen zu berücksichtigen sind.

4. Jede Volksgruppenkörperschaft handelt innerhalb ihres Wirkungsbereiches selbständig. Die Bildung gemeinsamer Gremien mit anderen Volksgruppenkörperschaften steht ihr frei.

5. Andere, in Österreich ansässige ethnische Gruppen, haben Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren, durch das sie, bei Erfüllung bestimmter Kriterien, als Volksgruppen anerkannt werden.

Zielsetzung dieser 5 Grundsätze ist die ausreichende rechtliche Absicherung der Wahrung und Weiterentwicklung ethnischer Identität in Österreich, damit aus Bittstellern/Bittstellerinnen gegenüber dem Staat bzw. politischen Parteien gleichberechtigte Partner/Partnerinnen werden.

 

Wien, 24. Oktober 2012