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PRESSEINFORMATION

Sind Volksgruppen kein Thema im Wahlkampf ?

Die „Wiener Arbeitsgemeinschaft für Volksgruppenfragen – Volksgruppeninstitut“ (ARGE) hat rechtzeitig vor den Nationalratswahlen die sechs Parlamentsparteien mit neuen Grundsätzen für ein modernes Volksgruppenrecht konfrontiert. Das Interesse, auf die Punkte konkret einzugehen, hält sich in Grenzen. Die FPÖ ignoriert das ARGE-Schreiben zur Gänze, das Team Stronach glänzt mit glatter Themenverfehlung, das BZÖ antwortet kurz und sehr allgemein. Mehr ins Detail gehen ÖVP, die GRÜNEN und die - mit ihren Standpunkten überraschende – SPÖ.

Die in den letzten Jahren unternommenen Versuche des Bundeskanzleramtes, das geltende Volksgruppengesetz in zentralen Punkten zu ändern, sind von den Volksgruppen einhellig abgelehnt worden. Diese Versuche ignorierten nicht nur wesentliche Empfehlungen internationaler Organisationen, insbesondere des Europarats, sondern hätten sogar eine Verschlechterung der geltenden Rechtslage bedeutet. Um demgegenüber mit der internationalen Weiterentwicklung der ethnischen Grund- und Menschenrechte Schritt zu halten und dem Ansehen Österreichs nicht noch weiter zu schaden, hat sich bereits im Spätherbst 2012 eine Reihe von Volksgruppenorganisationen, Menschenrechtsgruppen und engagierten Einzelpersonen, auf Initiative der ARGE, auf einige Grundsätze eines modernen Volksgruppenrechts für Österreich einstimmig verständigt. Ein derartiges, modernes Volksgruppenrecht würde die Volksgruppen in Österreich von Bittstellern zu gleichberechtigten Partnern machen. Diese Punkte haben stichwortartig zum Ziel:

- Konstituierung jeder anerkannten Volksgruppe als Körperschaft öffentlichen Rechts. In dieser liegt das Schwergewicht bei den Volksgruppenorganisationen, unterstützt von Religionsgesellschaften und politischen Parteien.

- Jede Körperschaft besitzt einen selbstständigen Wirkungsbereich und hat Rechtsanspruch auf wertgesicherte staatliche Förderung.

- Klare Spielregeln zur Anerkennung von neuen Volksgruppen in einem rechtsstaatlichen Verfahren.

SPÖ, ÖVP und die GRÜNEN gehen in den Stellungnahmen auf einzelne Punkte ein. Deren Standpunkte sind miteinander vergleichbar. Das BZÖ sieht generell die Notwendigkeit einer Novellierung des Volksgruppengesetzes, wobei „einer Neukonstruktion der Rechtsstellung der Volksgruppen … nicht nur die verfassungsmäßige Grundlage“ fehle, sondern die Grundsätze „auch sonst Ziel und Zweck der geltenden Bestimmungen auf extreme Art und Weise“ überschreiten würden. Das Team Stronach sieht in seinem Antwortschreiben hingegen prinzipiell keine Notwendigkeit für eine Änderung des Volksgruppengesetzes, da es „die persönlichen Lebensbereiche der Menschen nicht reglementiert sehen“ wolle.

Kein Ja zur Körperschaft öffentlichen Rechts

Die SPÖ sieht die Konstituierung der Volksgruppen als Körperschaft öffentlichen Rechts als nicht geeignet, da für diese eine Pflichtmitgliedschaft erforderlich sei. Das stehe im Widerspruch zum freien Bekenntnis zu einer Volksgruppe. Die ÖVP begrüßt neue Spielregeln zur Stärkung der Eigenständigkeit von Volksgruppen, hat jedoch Zweifel an einer derartigen Lösung. Der Vorschlag müsse „noch intensiv geprüft werden“, eine Reihe von weitergehenden Fragen bis hin zur möglichen Feststellung der Anzahl der Volksgruppenangehörigen – unvereinbar mit der Bekenntnisfreiheit – sei zu klären. Für die GRÜNEN ist die Bildung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, um als Rechtsträger der Volksgruppen zu fungieren, denkbar. Möglich ist aber nach Ansicht der GRÜNEN auch, dass sich die Volksgruppen als Dachorganisationen formieren, die mit dem Verbandsklagerecht ausgestattet werden. Die GRÜNEN sehen bei der Abbildung der Diversität innerhalb der jeweiligen Volksgruppe nicht notwendig das Einbinden „von Religionsvertretern oder Parteimitgliedern“. Volksgruppenorganisationen sollten „keiner rot /schwarzen/blauen/grünen oder kirchlichen Volksgruppenpolitik unterliegen“. Entscheidungen sollten von den Volksgruppenangehörigen selbst getroffen werden.

Unser Standpunkt:  Die Stellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ermöglicht der jeweiligen Volksgruppe ein einheitliches, selbstständiges Auftreten und ist Ausdruck der Wertschätzung des Staates. Da ein solcher besonderer Rechtsstatus ohnehin auf Verfassungsstufe vorzusehen wäre, kommt es, anders bei einer nur einfachgesetzlichen Regelung, nicht mehr auf einen Nachweis der Zugehörigkeit des einzelnen zur Volksgruppe an.

Keine wertgesicherte staatliche Förderung

Sehr zurückhaltend äußern sich die Parteien beim Thema Rechtsanspruch auf wertgesicherte staatliche Förderung. Die SPÖ regt an, die Volksgruppenbeiräte im Sinne eines „zivilgesellschaftlichen Modells“ mit erhöhter „Autonomie“ neu zu konstituieren. Die im seinerzeitigen Gesetzentwurf vorgeschlagene Änderung bei den Förderungsbestimmungen solle die Vergabe der Fördermittel „zielgerichteter, effizienter und flexibler“ gestalten, wobei die Volksgruppen bei der Vergabe verstärkt einzubinden seien. Die ÖVP sieht die Frage der Verteilung der Fördermittel auf die einzelnen Volksgruppen offen und geht ebenso wenig auf den Rechtsanspruch der wertgesicherten Förderung ein wie die SPÖ. Für die GRÜNEN ist die Valorisierung und Aufwertung der Volksgruppenförderung bereits seit Jahren überfällig: „Es kann nicht sein, dass die Volksgruppen jedes Jahr de facto weniger Geld bekommen und damit gleichbleibende Aufgaben der Kultur/ Sprachpflege bewältigen müssen.“ Den GRÜNEN sei dieses Problem der Volksgruppen bewusst, sie würden sich jedes Jahr für eine Anpassung der Förderung einsetzen.

Unser Standpunkt:  Angesichts des großen Beitrags der Volksgruppen zu Kultur und Sprachen in Österreich wäre ein wertgesicherter Förderungsanspruch ebenfalls ein Zeichen der staatlichen Wertschätzung.

Skepsis gegenüber Anerkennung neuer Volksgruppen

Auf die Frage zur Schaffung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zur Anerkennung neuer Volksgruppen geht die SPÖ schon gar nicht ein. Sie spricht von der Notwendigkeit eines modernen Volksgruppenrechts, das in der nächsten Regierungsperiode unter bestmöglicher „Einbindung und Mitwirkung der österreichischen Volksgruppen“ erfolgen solle. Nach der „Jahrhundertlösung“ in der Ortstafelfrage sei sie da sehr zuversichtlich. Sehr skeptisch äußert sich die ÖVP zu einem rechtsstaatlichen Verfahren zur Anerkennung neuer Volksgruppen. Diesbezüglich sei sie immer von den historisch auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich beheimateten Minderheiten ausgegangen: „Von dieser Voraussetzung …sollten wir aus gutem Grund nicht abgehen.“
Die GRÜNEN beantworten diese Frage sachlich, ohne sich auf ein Ja oder Nein festzulegen. Sie klären auf, welche Minderheiten zurzeit als anerkannte Volksgruppen gelten und dass Einigkeit darüber herrsche, dass nach drei Generationen (etwa 100 Jahre) ein Anspruch auf Anerkennung als autochthone Minderheit erhoben werden kann. Die österreichische Staatsbürgerschaft, die nichtdeutsche Muttersprache und ein eigenes Volkstum seien Voraussetzung dafür. Für die GRÜNEN sei aber das Forcieren einer „vernünftigen Kulturpolitik, die auf unterschiedlichen Sprachen und Kulturen aufbaut“, wichtiger als die Frage der Anerkennung neuer autochthoner Minderheiten.

Unser Standpunkt: Schon nach geltendem Recht ist ohne Gesetzesänderung die Anerkennung weiterer Volksgruppen durch Verordnung (indirekt) möglich. Was fehlt, sind deutlichere gesetzliche Kriterien für die Anerkennung sowie ein klar geregeltes Anerkennungsverfahren. Diese unbefriedigende Rechtslage durch Einzementieren des bestehenden Kreises der anerkannten Volksgruppen noch zu verschlechtern – so der seinerzeitige Entwurf -, ist strikt abzulehnen.

Schlechte Aussichten für die Volksgruppen

Fazit: Die wahlwerbenden Parteien haben kaum Interesse an den Volksgruppen. Wenig konkrete Antworten von SPÖ, ÖVP, GRÜNEN und BZÖ, die FPÖ schweigt sich aus. Das Team Stronach verfehlt das Thema komplett. Kein gutes Omen für ein modernes, weltoffenes Volksgruppenrecht in Österreich. Dazu kommt, dass die SPÖ die einhellige Ablehnung seitens der Volksgruppen zum seinerzeitigen Gesetzentwurf zur Änderung des Volksgruppengesetzes nicht wahrnimmt: Die neuen Grundsätze des Volksgruppenrechts – denen der seinerzeitige Entwurf widerspricht - wurden einstimmig von den vielen anwesenden Repräsentanten der Volksgruppenorganisationen verabschiedet. Eine große Anzahl von Einsprüchen zum Gesetzesentwurf ging schriftlich an das Bundeskanzleramt. Das ist auch der Grund, warum das Volksgruppengesetz noch nicht geändert ist. Realitätsverweigerung bei der SPÖ? Keine guten Aussichten für die Entwicklung der Volksgruppen in Österreich!

Wiener Arbeitsgemeinschaft für Volksgruppenfragen – Volksgruppeninstitut

Die „Wiener Arbeitsgemeinschaft für Volksgruppenfragen – Volksgruppeninstitut“ (ARGE) ist eine überparteiliche, österreichbewusste Vereinigung aller an Volksgruppenfragen Interessierten, im Besonderen von Angehörigen der sechs in Österreich beheimateten Volksgruppen (Kroaten, Slowenen, Tschechen, Slowaken, Ungarn und Roma). Der 1983 gegründete Verein bezweckt einerseits die fachlich-fundierte Behandlung von Volksgruppenfragen, andererseits aber auch eine Verbesserung der Situation der in Wien ansässigen ethnischen Gruppen österreichischer Staatsbürger.

Rückfragehinweis:

Dr. Heinz Tichy, Obmann der ARGE

1200 Wien, Stromstraße 18-20/9/1

Email: office@volksgruppen.org